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Mittwoch, 25. Januar 2017

Halbzeit

Vor fünf Monaten bin ich hier angekommen. Da mein Dienst ja nur zehn Monate dauert, ist jetzt also Halbzeit. Krass. Ja, es gibt Momente, in denen mir die Zeit, die ich schon hier verbracht habe, viel kürzer vorkommt. Und ja, es gibt auch Momente, in denen ich mich hier schon so zuhause fühle, dass ich es schade finde, dass es schon in fünf Monaten wieder zurück nach Berlin gehen soll. 

Vorwiegend ist es dann doch aber Freude, dass es „nur“ noch fünf Monate sind. Mir geht es gut hier, ich bin glücklich, aber ich bin nicht zufrieden. Eine gewisse Aufbruchsstimmung macht sich in mir breit. Ich will neue Dinge erleben, einen neuen Lebensabschnitt beginnen, neue Leute kennenlernen, auf neue Herausforderungen treffen und vor allem: Ich will wieder mehr lernen. Nicht nur das ein oder andere Phänomen der deutschen Grammatik verstehen, welches ich für meine Arbeit benötige. Oder die französische Sprache, passiv im Alltag und wöchentlich eineinhalb Stunden im Unterricht. Ich will wieder richtig viel lernen, aus vielen verschiedenen Fachgebieten, Themen, die mir völlig neu sind, viel Stoff innerhalb weniger Zeit verarbeiten. Mir fehlt das alles. Aber auch einfach, das Gefühl zu haben, nicht zu stagnieren. Im Leben voranzukommen. Mich persönlich weiterzuentwickeln. 


Trotzdem bin ich froh, mich für dieses Jahr hier entschieden zu haben. Auch diese Station in meinem Leben war wiederum wichtig, um nicht zu stagnieren, um voranzukommen, um mich persönlich weiterzuentwickeln. Und ich habe mich auf jeden Fall persönlich weiterentwickelt. Aber auch einfach der Leute wegen hat sich allemal gelohnt. Und wegen der Reisen. Und der Stadt. Und so einigen Erlebnissen.


Die Arbeit hier ist interessanter als ich gedacht habe. Außer der Arbeit in der Cafeteria sind alle unsere Hauptaufgaben Dinge, von denen wir noch nichts wussten, als wir uns entschieden haben, die Stelle hier anzunehmen. Gerade auf dem Zwischenseminar ist mir dann klargeworden, dass wir echt meiner Ansicht nach eines der besten Projekte überhaupt haben. Obwohl ich trotzdem noch manchen Projekten hinterhertrauere, auf die ich mich damals beworben habe, die ich nicht bekommen habe, bin ich wirklich zufrieden mit der Wahl, die ich getroffen habe. 


Was die französische Sprache betrifft, so ist es schwierig, Fortschritte festzustellen. Gerade, wenn man während der gesamten Schulzeit sehr viele Stunden wöchentlich konzentriert an der Sprache arbeitet, dauernd mit ihr konfrontiert ist, schwierige Lektüren und komplexe Sachverhalte auf eben dieser Fremdsprache behandelt, und dann, plötzlich und abrupt, erst mehrere Monate gar keinen Kontakt mehr zu ihr pflegt und sie schließlich nur noch auf einem einfacheren Niveau mündlich gebraucht. Da ist es sicher motivierender, wenn man Französisch vor seinem Auslandsjahr noch kaum konnte, und hier große Fortschritte merkt. Ich hatte lange das Gefühl, zwar neue Wörter der Umgangssprache dazuzulernen, aber dafür vieles von dem zu verlernen, was ich in der Schule noch konnte. Das ist auch nicht ganz falsch. Ich habe mir einfach nicht genug Zeit dafür genommen, aktiv am Französischen zu arbeiten. Dennoch: Mittlerweile merke ich, wie viel sich doch schon geändert hat. Sei es, spontaner reagieren zu können, im Fernsehen mehr zu verstehen oder Subjunktiv und Futur 1 besser zu verwenden. Trotzdem ist noch Luft nach oben, und da ist sie dann wieder, die Motivation, die kommenden fünf Monate noch einmal so richtig gut zu nutzen. Um noch viel mehr Französisch zu lernen, um noch mehr zu reisen, mehr von Lille zu entdecken, auch auf Arbeit mehr Projekte umzusetzen, und herauszufinden, was ich nach dem Jahr machen will. Wegen all diesen Dingen bin ich dann doch froh, ein Jahr hier zu sein und nicht nur ein halbes, und freue mich auf weitere fünf Monate.