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Mittwoch, 28. September 2016

Kulturschock im Nachbarland



Wenn ich darüber nachdenke, dass Bekannte von mir jetzt in Mexiko, Südafrika oder der Mongolei sind, kommt mir Frankreich ganz gewöhnlich vor. Eigentlich erleben wir hier aber recht oft kleine Kulturschockmomente:


1. Die meinen das mit den „bises“ hier wirklich alle ernst. Hier in Lille zwei bises und zuerst die rechte Wange. Selbst wenn jemand zu einer großen Runde hinzukommt, wird erst jedem einzeln la bise gemacht. Unheimlich zeitintensiv. Außerdem seltsam, dass so eine enge Begrüßung auch angebracht ist, wenn man einer noch fremden Person vorgestellt wird. Aber: Jungs unter sich geben sich natürlich nur die Hand…
 

2. Ich zitiere: „Wenn grün ist, gehen wir rüber, und wenn rot ist, gehen wir auch rüber.“ Eigentlich gucken sie nicht mal auf die Ampel, sondern nur ob Autos kommen.

 

Im Hintergrund ist übrigens der Bahnhof Lille-Flandres zu sehen, quasi der Hauptbahnhof.



Nächste Ampelphase, gleiches Szenario. Die weißen Streifen weisen übrigens nicht auf einen Zebrastreifen hin, sondern sind lediglich Zierde für Ampelübergänge und Stellen, wo Fußgänger in der Regel die Straße passieren.


3. Ich habe hier noch keinen Franzosen kennengelernt, der zumindest so tut als würde er sich beeilen.


Eine kleine Anekdote zur Veranschaulichung der ersten drei Punkte: Auf dem Weg in die Innenstadt komme ich an eine rote Ampel an einer befahrenen Straße. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sehe ich einen Bekannten. Er geht über rot. Ich gehe über rot. Er bleibt mitten auf der befahrenen Straße stehen, macht mir la bise, fragt mich „Ça va?“, wartet meine Gegenfrage ab und läuft erst dann weiter.


4. Die französische Organisation ist gar nicht so schlimm wie ich dachte. Sie ist noch viel schlimmer.


5. Es gibt keine Drogeriemärkte. Zur Wahl stehen Supermarkt und Apotheke. Die Apotheken sind zwar teilweise groß wie Drogeriemärkte, aber eben teuer wie Apotheken.


Ein Glück wird bei der Mülltrennung mit hilfreichen Erklärungen weitergeholfen.
6. Es gibt keine normalen Supermärkte. Zur Wahl stehen teure, winzige Lädchen und weit entfernte, riesige Supermärkte. Dort ist es um einiges günstiger, aber immer noch teurer als in Deutschland.


7. Sonntags haben keine Bäckereien offen. Und montags hat auch ziemlich viel geschlossen, selbst Banken.

8. Mülltrennung: In jeder Gemeinde anders gehandhabt und immer seltsam. Eigentlich ist es aber auch nicht so wichtig, weil es die Franzosen selbst auch nicht verstanden haben. Plastikflaschen muss man auch schweren Herzens einfach in den gewöhnlichen Müll werfen.
In Lille trennt man den Müll eigentlich nur in zwei Kategorien: recyclebar und nicht recyclebar. Umso verwirrter sind wir (und eigentlich auch fast alle Franzosen), wenn wir in der Cafeteria dieses seltsame Konstrukt antreffen, oder bei den Containern der Uni auf einmal 3 verschiedene Tonnen stehen.

9. Taschenkontrollen. Überall. Immer. Und so viel Militär… Daran werde ich mich nie gewöhnen.


10. Getrennt zahlen ist unmöglich. Wenn man getrennt zahlen will, wird einfach die Gesamtsumme durch die Anzahl der Leute geteilt.

11. Es gibt keine wahren Döner. Es gibt den französischen Kebab, in Brötchen statt Fladenbrot, mit viel zu viel Fleisch und seltsamen Soßen, aber auch Ketchup und Mayo. Das ist wirklich kein Vergleich.


Dieser "Kebab" enthielt ausnahmsweise wirklich viel Salat, darunter Karotte und ich habe eine Pfeffersoße gewählt, was mir die Geeignetste von allen Soßen schien.
 
12. Man kauft etwas, bedankt sich und die Verkäuferin antwortet mit "S'il vous plaît". Ich habe das vorher noch nie gehört und zwei Studenten, die ursprünglich aus Paris kommen, haben meine Verwunderung gut verstanden, denn das wird scheinbar tatsächlich nur hier gesagt.


13. Auf einmal habe ich keine 36 mehr, sondern eine 38, und auch bei allen anderen Kleidergrößen muss ich mich umstellen. Es fühlt sich schon komisch an, zwei oder drei Größen größer zu kaufen, obwohl es ja die gleichen Maße sind. Cool ist allerdings, dass es auch kleinere Größen gibt als in Deutschland. So gibt es beispielsweise die Unterbrustgröße 65 problemlos in allen Läden zu kaufen und auch nicht nur für Cup A.

14. Beim Einparken an die Autos vor und hinter sich zu stoßen scheint überhaupt kein Ding zu sein. Generell folgt Autofahren hier anderen Regeln. Oder eher keinen.

15. Ich muss meinen Namen nicht buchstabieren! Die Menschen hier wissen sofort, wie man ihn schreibt, und sprechen ihn schöner aus als ich. Jetzt fühle ich mich sogar angesprochen, wenn ich beim Arzt aufgerufen werde!



Ich dachte immer, ich sei nicht gerade "typisch deutsch". Aber hier fühle ich mich in so einigen Situationen so unglaublich deutsch, so spießig, kleinkariert, unspontan.

Sonntag, 25. September 2016

Was bisher geschah...



Vorbereitungsseminar


Anfang August ging es für zwei Wochen nach Niederbronn-les-Bains, eine kleine Stadt im Elsass, um mich gemeinsam mit ca. 40 weiteren Freiwilligen des ICEs auf mein Auslandsjahr vorzubereiten.

Dort habe ich auch meine Mitfreiwillige Pia kennengelernt, meine zukünftige Kollegin, entgegen meiner Hoffnung ebenfalls Deutsche, aber Gott sei Dank echt nett und super cool.

Wir haben wirklich wichtige Informationen bekommen, ein französisches Konto eröffnet, einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht, etc., aber wirklich vorbereitet gefühlt haben wir uns danach immer noch nicht. Zum einen ist es vermutlich unmöglich, sich für so einen großen Schritt vorbereitet zu fühlen, zum anderen haben uns immer noch so einige zum Teil recht wichtige Informationen über unser zukünftiges Leben gefehlt.

Nichtsdestotrotz freue ich mich rückblickend sehr, dort gewesen zu sein. Es war eine schöne Zeit mit tollen Leuten und eine interessante Erfahrung, vom Workcamp auf dem Bau, was wirklich Spaß gemacht hat, bis zu den 30 Stunden Französischunterricht, die wir über uns ergehen lassen mussten.




Erste Tage in Lille

Mit meinen vier Gepäckstücken bin ich am 31.8. nach 12 Stunden Reise und dreimal Umsteigen am Bahnhof Lille-Flandres angekommen und wurde von Pia und zwei Studenten mit dem Auto abgeholt.

Ich wohne hier im Studentenwohnheim in einer Art 12-Personen-WG. Ich habe mein eigenes ca. 9 qm großes Zimmer mit Waschbecken, Kühlschrank und Mikrowelle. Toiletten, Duschen, ein Gemeinschaftsraum und eine kleine Küche werden geteilt.


mein Zimmer mit Ausblick auf den Campus

Bettzeug wurde uns zum Glück gleich mitgegeben; an allem anderen hat es uns die ersten Tage gefehlt. Später haben wir aus dem „Ressort International“ etwas Geschirr, Geschirrhandtücher und Kochutensilien bekommen. Trotzdem mussten wir uns so einige Einrichtungsgegenstände selbst kaufen. Vermutlich ist diese einmalige Investition der Preis dafür, dass wir relativ viel Geld bekommen. So sicher ist allerdings noch nichts, da uns besagte zum Teil recht wichtige Informationen immer noch fehlen.

Was mir auch weiterhin fehlt, ist eine aktivierte Bankkarte. In der hiesigen Bankfiliale bin ich deshalb schon so oft, dass manche Angestellte gleich wissen, wer ich bin und was mein Problem ist. Aber ich bin optimistisch. Schließlich habe ich mittlerweile sogar schon die Bankkarte (inklusive Rechtschreibfehler), mir fehlt „nur“ noch der Pincode, um sie zu aktivieren und zu benutzen. Das Ganze wäre allerdings nur halb so dramatisch gewesen, wenn ich meine deutsche Bankkarte mitgenommen hätte.

Ein Glück haben wir wenigstens genug Zeit, uns um all diese komplizierten Dinge zu kümmern, denn von Arbeit werden wir wirklich nicht gerade erdrückt. Die Franzosen lassen es eben mal wieder entsprechend aller Klischees langsam angehen und brauchen erstmal ein paar Wochen, um sich von ihren Sommerferien zu erholen. Zum Zwecke der allgemeinen Verwirrung wurden außerdem sämtliche Jobs der Professoren vertauscht und so einige wichtige Mitarbeiter sind noch im Urlaub.

Umso positiver sieht es allerdings in unserem Privatleben aus. Die Leute im Norden sind super offen  und gastfreundlich. Wir haben schon unglaublich viele Leute kennengelernt und es kommt wirklich keine Langeweile auf.


La Braderie

Eigentlich findet in Lille (schon seit dem 12. Jahrhundert) jedes Jahr am ersten Wochenende im September die „Braderie“ statt, der größte Flohmarkt Europas, der sich über die gesamte Innenstadt erstreckt und ziemlich bekannt ist. Unsere Vorfreude wurde allerdings enttäuscht, denn dieses Jahr wurde er aufgrund der Terrorgefahr abgesagt. Lediglich in den Geschäften gab es viele Rabatte. Ich habe es natürlich trotzdem geschafft, mich in zwei Teile zu verlieben, die nicht reduziert waren. Es war trotzdem ganz lustig. In der Innenstadt war viel los, wir waren mit zwei Mädels aus dem Cafet‘ unterwegs und haben die obligatorischen Moules-frites gegessen. Sehr lecker.

"Was nutzen dir Pommes, wenn du keine Muscheln hast"
Diese Berge an Muschelschalen wurden im Laufe des Tages noch größer.
Nicht das schönste Geschirr, aber immerhin haben wir noch einen Tisch ergattert.


Le Jardin Électronique

Le Jardin Électronique war ein Electrofestival im Jardin des Plantes, Eintritt gratis, Hautbemalungen „à prix libre“.






                      
Les journées du patrimoine

Übersetzt in etwa „die Tage des Kulturguts“ bedeuteten: freier Eintritt in viele Museen, gratis Führungen in Kirchen, Veranstaltungen, Konzerte und, am Samstagabend, ein Feuerwerk über dem Rummel, der zurzeit in der Stadt ist. Bei letzterem musste ich vor allem an die Tiere im Zoo nebenan denken (dessen Eintritt übrigens ganzjährig kostenfrei ist).
 
Für uns war es perfekt, gleich am Anfang unseres Aufenthaltes in Lille so einen schönen Einblick in die Stadt zu bekommen. Einigen Einrichtungen werde ich auch definitiv noch mindestens einen zweiten Besuch abstatten. 

Außerdem hat uns an dem Wochenende eine Freundin besucht, die wir beim Vorbereitungsseminar kennengelernt haben und die ihren Dienst in einer Arche unweit von Calais leistet.